Prof. Dr. Justus Eichstädt © Technische Hochschule Brandenburg
AOG-Studierende © Technische Hochschule Brandenburg
Spaltlampe © Technische Hochschule Brandenburg

Das „digitale Auge“ studieren

Nachwuchs für einen Beruf mit Tradition in Brandenburg

 

Der gebürtige Rathenower Justus Eichstädt kam schon früh in Berührung mit der optischen Tradition seiner Stadt. Immerhin trug seine Schule den Namen des Pfarrers und Unternehmers Johann Heinrich August Duncker, der als Vater der optischen Industrie in Deutschland gilt und dessen in Rathenow gegründete „optische Industrieanstalt“ im Jahr 1843 bereits 300 Niederlassungen aufwies. In der Oberstufe belegte J. Eichstädt Physik und Biologie als Leistungsfächer, konnte sich nach dem Abitur aber nicht entscheiden, was von beidem er studieren wollte. Vielleicht hat der Namensgeber seiner Schule ihn zusätzlich inspiriert, das beste aus beiden Welten zu vereinen: Er entschied sich für die Augenoptik. In Wolfsburg erwarb er ab 2002 parallel zum Gesellenbrief im Augenoptikerhandwerk ein Diplom als Ingenieur (FH) für Augenoptik. Es folgten ein Master in Photonik in Brandenburg und die Promotion in angewandter Lasertechnik in den Niederlanden. 

Vermessen, bewerten, fertigen in High-Tech

„Mit Anfang 30 stand ich vor der Frage ‚Wo will ich hin?. Da ich sehr heimatverbunden bin und meine Frau auch aus Rathenow stammt, beschloss ich, zurück nach Brandenburg zu gehen und mir dort nach den bis dahin sehr arbeitsintensiven Jahren einen eher ruhigen Job zu suchen“, erinnert sich Eichstädt. Er wurde Lehrer für Optik am OSZ Havelland. Doch aus der ruhigen Arbeit wurde nichts. 
Denn zwischenzeitlich merkte die erfolgreiche optische Industrie in Brandenburg, dass ihr Fachkräfte fehlten. Der OABB optic alliance brandenburg berlin e. V.  und die Augenoptiker- und Optometristen-Innung des Landes Brandenburg (AOI) schlossen sich zusammen und wurden beim Brandenburger Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur vorstellig. Ihr Anliegen: Sie benötigten eine akademische Ausbildung in der Augenoptik, um der technischen Entwicklung des Faches gerecht zu werden und ihren Fachkräftebedarf zu decken. 
Brillen gibt es seit dem 13. Jahrhundert. Anfangs zogen die Brillenverkäufer mit fertigen Gestellen übers Land. Langsam entwickelte sich ein Handwerk, die Brillen wurden selbst gebaut und die Linsen eigenhändig geschliffen. Heute ist die Augenoptik nah an der Medizintechnik, die Ausübenden arbeiten viel an Geräten. Alles im Auge kann erfasst und bestimmt werden, Professor Eichstädt nennt es „das digitale Auge“. In der Optometrie werden die Sehfunktionen gemessen und bewertet. In der Brillenoptik werden High-Tech-Fertigungsverfahren wie die Freiformfertigung angewendet. Mit 80.000 Daten als Basis werden Gläser digital und individuell hergestellt, basierend beispielweise auf Polynomfunktionen, die viele Datenpunkte für Krümmungen aufweisen. Das ist besonders interessant für den Nahbereich bei Gleitsichtgläsern, der dadurch sehr genau berechnet und individuell angepasst werden kann. 

Neuer Studiengang an der Technischen Hochschule Brandenburg

Das Anliegen der Industrie fand Gehör. Ende 2016 immatrikulierten sich die ersten Studierenden im neuen Studiengang „Augenoptik / Optische Gerätetechnik“ an der Technischen Hochschule Brandenburg (THB) mit Sitz in Brandenburg an der Havel. Was noch fehlte, waren qualifizierte Lehrende. „Ich wäre nie auf die Idee gekommen, mich zu bewerben, aber als eine Professur ausgeschrieben wurde, kamen immer wieder Menschen auf mich zu und sagten, du hast den komplett passenden Lebenslauf, bewirb dich doch“, erinnert sich Eichstädt. Er tat es und erhielt die Stelle. Seit 2017 ist Eichstädt nun Professor an der TH Brandenburg, seit Februar 2022 auch Dekan des Fachbereiches Technik.

Deutschlandweit einzigartig am neuen Studiengang ist, dass er die Augenoptik mit der optischen Gerätetechnik verbindet und die Hochschule dafür mit der Augenoptiker- und Optometristen-Innung des Landes Brandenburg kooperiert. An deren Ausbildungszentrum in Rathenow wird der augenoptische Teil des Studiengangs gelehrt. Die Studierenden lernen dort das Bestimmen der benötigten Sehschärfenkorrektion, die Anpassung von Brillen und Kontaktlinsen sowie das medizinische Screening des Auges. An der THB hingegen lernen die Studierenden die physikalischen und ingenieurtechnischen Grundlagen, auf denen optische Technologien basieren und die für deren (Weiter)Entwicklung notwendig sind.

„In den letzten Jahren hatten wir im Mittel 16 Studierende, ungefähr 1/3 Männer und 2/3 Frauen. Die meisten kommen aus der Region. Das ist mehr, als wir anfangs erwartet haben, aber unser Ziel sind 20 bis 24“, beschreibt Eichstädt die Kapazitäten des Studienganges.

In sieben Semestern können die Studierenden zwei Abschlüsse erwerben: den Bachelor of Engineering und den Meistertitel im Augenoptikerhandwerk. Letzterer ist ein Handwerkstitel, aber auch der Bachelorabschluss kann als solcher in die Handwerksrolle eintragen werden. Das ist wichtig, um selbst ein Geschäft zu führen oder zu gründen. Am Ende stehen den Studierenden die Weiterqualifizierung in Masterstudiengängen sowie verschiedende berufliche Tätigkeiten offen, zum Beispiel die Mitarbeit oder das Führen eines augenoptischen Fachgeschäftes im Handwerk, die Beschäftigung an Augenkliniken oder die Karriere in der Industrie. Der gute Start in den Beruf wird von der Hochschule u. a. dadurch gefördert, dass Studierende Abschlussarbeiten in Unternehmen durchführen können. Zum Beispiel bei der Rathenower Optik GmbH, einer Tochter der Fielmann Gruppe, die in Rathenow rund 1.000 Menschen in Produktion, Logistik und Ausbildung beschäftigt und aktuell in neue Gebäude investiert. 

In die Region wirken und die wirtschaftliche Entwicklung stärken

Natürlich wird am Lehrstuhl geforscht. Ein Projekt verbindet Biometrie, also die Wissenschaft und Technologie zur Messung und Analyse biologischer Daten, mit der Augenoptik. Im Laboratorium für Lasertechnik werden im Auftrag eines Rathenower Unternehmens optische Phänomene auf Titanoberflächen untersucht. Neben dem Forscherdrang, der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wohl stets vorantreibt, motiviert Eichstädt ein zweiter Aspekt: „Wir haben an der THB den klaren Auftrag, Westbrandenburg zu stärken, und diesen Auftrag nehme ich ernst“. „Transfer“ ist das Stichwort, das der Rathenower, dem man in jeder Sekunde seine Leidenschaft für die Augenoptik und für seine Heimat anmerkt, immer wieder anführt. Er arbeitet seit Jahren mit der Wirtschaftsförderung Brandenburg (WFBB) zusammen, dort inbesondere mit der Clustermanagerin Optik und Photonik, Dr. Anne Techen. Beispielweise wurde gemeinsam das Symposium „Augen auf Brandenburg“ aufgesetzt, in dem jährlich der fachliche Austausch zwischen Industrie, Handwerk, Verbänden und der Wissenschaft gepflegt wird. Mit dem Branchennetzwerk OABB wird ein Gemeinschaftsstand auf der Weltleitmesse „opti“ der Branche in München organisiert. Hier engagiert sich nicht nur der Professor, sondern auch die Studierenden, die mitfahren, um Kontakte zu Unternehmen zu knüpfen und um den Stand zu betreuen. 

Das Engagement und die Heimatverbundenheit des jungen Professors zeigen sich auch in zwei Initiativen für Rathenow. So initiierte er einen „Begrüßungstag der Optik“ für die Erstsemester des Studiengangs und alle Auszubildenden, die in Rathenow Augenoptik oder Brillenoptik lernen, und dafür drei Jahre in die Stadt kommen. Seine neueste Initiative ist der „Rathenower-Optik-Stammtisch“, an dem sich lokale Fachleute und Unternehmensvertreterinnen und -vertreter in ungezwungener Atmosphäre austauschen und weiterbilden können.

„Mit unserem Bachelorstudiengang Augenoptik / Optische Gerätetechnik besetzen wir eine Schlüsselposition. Wir verbinden uns mit der Innung, den Branchennetzwerken, dem Cluster, der Industrie und allen Ausbildungsstätten“, nennt Eichstädt einen weiteren Grund, warum der Studiengang zur positiven Entwicklung der Region beiträgt. Im Zentrum steht ein faszinierender Beruf, durch den die Menschen so gut und so lange wie möglich die Welt mit ihren Augen wahrnehmen. 
 

 

Prof. Dr. Justus Eichstädt

Justus Eichstädt wurde 1982 in Rathenow geboren. An der Berufsschule in Gifhorn erhielt er 2005 den Gesellenbrief im Augenoptikerhandwerk, an der Ostfalia Wolfsburg wurde er 2007 Diplom-Ingenieur (FH) in Augenoptik. 2008 erwarb er den Master of Engineering in Photonik, 2015 die Promotion in angewandter Lasertechnik. Parallel arbeitete er in der Industrie bei Berliner Glas KGaA und als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Seit 2017 arbeitet er an der TH Brandenburg als Professor, Studiendekan und seit 2022 als Dekan.

 

„Mit unserem Bachelorstudiengang Augenoptik / Optische Gerätetechnik besetzen wir eine Schlüsselposition. Wir verbinden uns mit der Innung, den Branchennetzwerken, dem Cluster, der Industrie und allen Ausbildungsstätten.“ Professor Justus Eichstädt