„Chancen und Risiken von Quantentechnologien“
OptiMST: Derzeit fließt viel Geld in die Quantentechnologie. Was ist Ihre Meinung, worauf stützen sich die Erfolgshoffnungen? Warum investieren die Leute so enorm viel Geld in so einem frühen Entwicklungsstadium?
Dr. Florian Neukart: Da sind zum ersten die Beweise, dass diese Technologien umsetzbar sind und auch in einigen Bereichen schon heute nutzbar sind. Dazu kommt das Potenzial in der Zukunft basierend auf diesen umgesetzten Technologien.
Wenn wir an Quantum Computing denken, dann werden bisher verschlossen gebliebene Komplexitätsklassen von Problemen greifbar: In der Pharmakologie, zum Beispiel, werden erste Schritte unternommen, um quantenmechanisch ein Medikament zu simulieren. Auf diese Weise verstehen wir erst richtig, wie ein Arzneimittel auf ein Protein im Körper wirkt.
Das gleiche gibt es in der Materialforschung: Dort werden Materialien für Batterien simuliert, um diese etwa schneller laden oder miniaturisieren zu können. Das alles profitiert von der Quantensimulation, also der Möglichkeit, dass sich Moleküle und Atome mit Quantencomputern quantenmechanisch exakt simulieren lassen. Dies ist mit herkömmlichen Computern, unabhängig von ihrer Leistungsfähigkeit, weder heute noch in der Zukunft machbar.
Alissa Wilms: Neben den ersten Proofs of Concepts, dass man diese Technologien bauen kann, zeigt die Theorie, dass sich Quantentechnologien stark von klassischen Möglichkeiten absetzen. Davon können wir uns womöglich einen Vorteil erhoffen gerade in der Quantenkommunikation und dem Computing. In Gebieten wie der Kryptographie haben wir deshalb schon heute einen Paradigmenwechsel.
Dr. Florian Neukart: Das ist ein wichtiger Use Case. Jedes Telebanking, jede Kommunikation zwischen Geräten, zwischen Fahrzeugen, müssen wir noch mal überdenken, wenn Quantencomputer reif genug sind, um diese Kommunikation zu knacken. Und hier kann man auch mit Quantentechnologie unterstützen, mit der Quantenkommunikation. Wir müssen dabei heute schon an die Umsetzung gehen, denn die Absicherung der gesamten Kommunikationsinfrastruktur, des gesamten Internet, kostet Zeit.
OptiMST: Können Sie mir noch Beispiele geben, wo Quantentechnologie der zweiten Generation heute schon angewandt wird?
Dr. Florian Neukart: Tatsächlich im Quantum Computing. Man kann das als eine Evolution von High Performance Computing sehen und wir kombinieren heute klassisches High-Performance Computing mit Quantencomputern. Das bringt für spezielle Anwendungsfälle Performancevorteile. Die liegen in der Optimierung oder im Maschinenlernen.
Dafür müssen wir jetzt in der Industrie das Verständnis wecken.
OptiMST: Was sicher auch eine Motivation für Ihr Buch war…
Alissa Wilms: In dem Bereich Quantenkommunikation gibt es ein Samsung Phone, das Quanteneffekte nutzt, um Zufallszahlen für die Verschlüsselung zu generieren. Das ist schon sehr nah am Endnutzer. In der Sensorik gibt es Technologien, die heute bereits in sehr kleiner Stückzahl eingesetzt werden, wir erwarten aber in Zukunft noch einen viel breiteren Einsatz, zum Beispiel von Atomuhren.
OptiMST: Was kann man hier in Berlin und Brandenburg tun, um an den Quantentechnologien zu partizipieren?
Alissa Wilms: Das hängt davon ab, auf welcher Seite man steht. Als Investor oder QT-interessiertes Unternehmen in der Region kann man sich als erstes an das Cluster Optik und Photonik bei Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie oder der Wirtschaftsförderung Brandenburg wenden. Im Venturing Bereich gibt es viele Firmen, die daran arbeiten und viele Fonds, die aktuell aufgesetzt werden. Firmen sind noch recht selten. Aber da die meisten Leute heute sehr remote arbeiten ist es relativ irrelevant, wo man genau sitzt.
Für Studenten haben wir hier den renommierten Professor Eisert, sowie andere Professoren welche spezialisierte Vorlesungen anbieten. Außerdem gibt es online viele Angebote und ich würde zum Beispiel jedem empfehlen, eine IBM Online School zu machen. Das ist einfach, es ist zugänglich und man lernt unheimlich viel.
Dr. Florian Neukart: Da stimme ich dir voll zu. Der wichtige Punkt -ob Berlin oder nicht- ist der Wille zu starten und diese Furcht vor der Quantentechnologie abzulegen.
Klar, es gibt da viel Unbekanntes, aber konzeptionell kann die Quantenphysik jeder verstehen. Wenn die gedanklichen Hürden genommen sind, wird auch die Generalisierung auf beliebige Probleme, die Unternehmen oder die Forschung haben, einfach. Und das ist der wichtigste Schritt.
OptiMST: Klingt nach einer spannenden Zeit für die Absolventen. Die können sich raussuchen, ob sie Spitzenforschung machen, ob sie zu Google gehen oder ob sie in einem kleinen Startup anfangen wollen. Richtig?
Dr. Florian Neukart: Ja, absolut. Das ist so eine Zeit, von der wir in zehn Jahren sagen werden, dass wir dabei gewesen sind. Und der Markt ist für QT-Spezialisten und junge Talente ein großes Spielfeld. Experten auf diesem Gebiet sind sehr gefragt. Daher arbeiten wir auch eng mit Universitäten zusammen und engagieren uns in Weiterbildungsprogrammen, um den Nachwuchs zu fördern und anzuleiten.
Alissa Wilms: Wir waren letzte Woche bei der QTML Konferenz in Italien zu Quanten Machine Learning oder auch davor auf Konferenzen hier in Deutschland und der Vibe war immer super. Da gibt es einen Vortrag, einer hat eine Idee, dann setzt man sich abends hin und diskutiert das aus. Es gibt so viel zu tun und es gibt einen großen Drang nach guten Ideen. Das macht unglaublich Spaß.
OptiMST: Sie haben mit einem wirklich tollen Team von Autoren das Buch über Quantentechnologien geschrieben. Was denken Sie, wer soll es lesen und warum?
Alissa Wilms: Jeder, der entscheiden kann, sollte es lesen, um zu wissen, wie er sich zu Quantentechnologien stellen möchte. Damit er eine Entscheidung in Bezug auf seine eigene Firma, seinen eigenen Werdegang oder seine Politik treffen kann. Wir haben in dem Buch viele Erfahrungsberichte gesammelt und aus den Erfahrungen der Autoren kann der Leser viel für sich ableiten.
Dr. Florian Neukart: Das Buch ist für jeden, der Interesse an Quantentechnologien hat und verstehen möchte, was diese bedeuten. Wie kann ich sie nutzen? Wie kann ich selbst einsteigen? Für diese Person bietet das Buch den richtigen Zugang.
Wenn ich überlege, ob ich in ein Unternehmen investiere, oder ob ich ein Team aufbaue. Ist es das wirklich wert, dass ich da Technologie anschaffe? Dafür ist es ein guter Leitfaden. Wir wollten ganz offen über den aktuellen Stand sprechen und sehen, was ist das Potenzial in der Zukunft, was können wir über den Hype hinaus sehen. Dafür haben wir die gefragt, die bereits aktiv sind und selbst Erfahrungen gemacht haben und wollten auch wissen: Bereut ihr es oder war es das wert?
OptiMST: Das klingt spannend. Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Dr. Andreas Thoß, THOSS Media GmbH.
Über die Autoren
Dr. Florian Neukart ist Mitglied des Vorstands der Terra Quantum AG und für die Produktentwicklung zuständig. Davor war er Direktor des Volkswagen Data Lab des Volkswagen Konzerns und hat die Advanced Technologies Group der Volkswagen Group of America aufgebaut und geleitet. Zuvor hatte er verschiedene Führungs- und Forschungspositionen in Industrie, Wissenschaft und Beratung inne. Florian hat Informatik, Informationstechnologie und Physik studiert und ein Doktorat in Informatik mit Schwerpunkt auf künstlicher Intelligenz und Quantum Computing. Er ist außerdem Assistenzprofessor für Quantum Computing am Leiden Institute of Advanced Computer Science, Mitglied in mehreren Beratungsgremien und Komitees, die sich auf fortschrittliche Technologien und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft konzentrieren, und Autor von Büchern über künstliche Intelligenz und Energie.
Lange vor dem Anfang einer wissenschaftlichen Karriere war Alissa Wilms als Schauspielerin und Modebloggerin aktiv. Nun promoviert Sie zum Thema Quantum Computing bei Jens Eisert an der Freien Universität Berlin und verantwortet den Themenbereich Quanten Technologien in der Porsche Digital GmbH. Neben der Forschung gehört die Lehre sowie die Entwicklung und Implementierung von Anwendungsfeldern zu Ihrer täglichen Arbeit. Sie ist somit in beiden Welten – der akademischen und der praktischen – zu Hause und tritt an die Brücke zwischen den beiden Welten zu bauen.